Nachts um die Zugspitze laufen

Peter Hinze beim „Zugspitz-Trail“
Eines der spektakulärsten Rennen für Trailrunner findet jedes Jahr auf dem Dach Deutschlands statt. Peter Hinze meidet kaum die extremsten Laufevents weltweit und hat die „brutale“ Seite der Alpen spätestens nach Mitternacht erlebt.
Die Dunkelheit bricht nach 76 Kilometern und 14 Stunden herein. Kurz hinter der Steilen-Hütte. Dort, wo der Kälbersteig dramatisch ins Tal hinabführt, leuchten die Stirnlampen der Trailläufer wie Glühwürmchen zwischen den hohen Tannen. Mit der Nacht beginnt auch der härteste Teil des 100 Kilometer langen „Zugspitz-Ultratrail“ (ZUT), vielleicht Deutschlands schönster und zugleich schwierigster Langstrecken-Tageslauf: 1400 Meter Höhenmeter sind es bis zur Station der Alpspitzbahn. Die Schritte sind langsam, der Atem dafür umso schneller. Wanderer legen die Gebirgstour genüsslich in vier Tagen zurück, Mountainbiker erreichen bei guter Kondition nach zwei Tagen ihren Ausgangsort. Den 445 Trailrunnern bleiben 26 Stunden Zeit bis zum Start-Zielort Grainau. Doch der „ZUT“ ist weit mehr als ein Rennen gegen die Uhr, es ist vor allem ein Lauf gegen sich selbst und gegen das mit jedem Kilometer zunehmende Gefühl der Aufgabe.
Als Lauferlebnis geriet die Zugspitze im Jahr 2008 in die Negativschlagzeilen: Nach einem massiven Wetterumschwung setzen am Ende des knapp 18 Kilometer langen und über 2235 Meter führenden „Zugspitzlaufes“, der auf einer Art Direttissima steil bergan führt, Kälte und Schneefall ein. Zwei Läufer verstarben – vor allem wegen Erschöpfung und Unterkühlung – kurz vor dem Ziel. Der „ZUT“ fasziniert mit einer anderen Herausforderung als die Gipfelnähe: Die 2962 Meter hohe Zugspitze wird „nur“ umrundet. Die Strecke gleicht einer Berg- und Talfahrt. Linker Hand immer im Blick dabei: das Dach Deutschlands. Und obwohl es nicht zum Gipfel hinaufgeht, sind während des "ZUT" 5420 Höhenmeter zu bewältigen.
Bayerisch-rustikal ist die Stimmung am Start. Um 7.15 Uhr, Böllerschützen schicken die Läufer auf die Strecke, hängen die Wolken tief über dem Werdenfelser Land. Zehn Verpflegungsstationen, wenig Asphaltstraßen, viele Forststraßen und etliche schmale Wanderwege sind zu passieren. Eibsee, Ehrwald, Hämmermoosalm, Mittenwald, Reintal, Längenfelder und Alpspitzbahn lauten die wichtigsten Wegmarken. Wer seine Kräfte zu früh falsch einschätzt, bleibt auf der Strecke. Etliche Starter werden schon bei Kilometer 18 aufgeben – wegen Erschöpfung.
Kurz nach dem Start meint es der Trail noch gut. Sanft schiebt sich der Pulk der Läufer über dicht bewaldeten Hänge vorwärts. Auf der Ehrwalder Alm, 22 Kilometer sind absolviert, begegnen sich Trailrunner und Touristen, die angesichts eigener Atemlosigkeit fassungslos den Kopf schütteln. Für eine Antwort auf die Frage der Urlauber “Wat müssn die denn uff’n Berg klettan?“ bleibt keine Zeit.
Zweifel über den Sinn der Herausforderung mag einige Läufer wenig später selbst befallen. Im Gleichschritt quält sich das Feld über ein fast 200 Meter langes Schneefeld. Es fehlt an Halt, und manchem Sportler auch am passenden Schuhwerk. Wer falsch ausgerüstet ist, rutscht tief den Abhang hinunter. Wer mit Stöcken unterwegs ist, darf sich nicht nur an dieser winterlichen Passage über die richtige Materialwahl freuen. Richtung Pestkapelle und Feldernjöchl sind minutenlang Geröllfelder zu passieren; am Scharnitzjoch, mit 2048 Metern der höchste Punkt der Strecke, trüben Nieselregen und dichte Wolken die Aussichten. Es ist der bislang härteste Teil der Strecke.
Beim Hubertushof Reindlau nach 56 Kilometern der erste Stopp zum Durchatmen. Wer vorne läuft, greift nach einer heißen Brühe in Eile. Wer ankommen will, hat frische Ersatzkleidung deponieren lassen. So reicht es nicht nur für eine Stärkung, sondern auch für trockene Socken und einen aufmunternden Wortwechsel mit Familie oder Fans, die hier geduldig (und manchmal auch vergeblich) warten. Samstagnachmittag, 17.30 Uhr. Der Himmel ist immer noch bedeckt, doch der Regen hat sich verzogen.
Der Abschnitt entlang der Leutascher Ache gleicht einem „Straßenlauf“. Das Tempo ist schnell. Kein Wunder, auf den knapp zehn Kilometern sind nur 45 Höhenmeter zu überwinden. Euphorie über das schnelle Vorankommen motiviert und die Szenerie entlang des Trails tut ihr übriges: Mittenwald glänzt urbayerisch und die Leutasch schimmert in exotischem Türkisblau. Nach dem idyllischen Ferchensee geht es wieder bergan Richtung Schloss Elmau, wo sich im Jahr 2015 die wichtigsten Regierungschefs zum G8-Gipfel treffen werden. Die Landschaft überragt das Wettersteingebirge, das sich in den letzten Sonnenstrahlen eines langen Tages tiefrot färbt.
Bis zur Wettersteinalm und seinem herrlichen Kaiserschmarrn wäre es nur ein „kurzer“ Abstecher. Auch das prunkvoll-exotische Schachenschloss, erbaut von König Ludwig, ist nicht allzu weit. Doch der „ZUT“ erlaubt keine genussvollen Ablenkungen. Stattdessen rücken die Steilenhütte und der Beginn der Nacht immer näher.
An der Talstation Längenfelder auf 1610 Metern Höhe kommt es dann zu Begegnungen der besonderen Art, denn die Verpflegungsstation muss zweimal passiert werden. Während schnelle Läufer bereits Richtung Tal unterwegs sind, quälen sich die anderen erst noch auf die letzte, knapp zweistündige Bergrunde, die es in sich hat. Immer wieder Schneereste, immer wieder kleine Bäche, immer wieder unsichere Tritte in stockdunkler Nacht, während unten im Tal Garmisch-Partenkirchen langsam zu Bett geht und die letzten Lichter erlöschen. Längst gibt es keine Gespräche mehr, längst haben sich die kleinen Laufgruppen aufgelöst. Jeder Läufer ist mit sich selbst beschäftigt. Bergnächte können verdammt still sein.
Endlich – bei Kilometer 94 beginnt der letzte Abstieg. Grainau, zumindest die Umrisse, die im Dunkeln matt leuchten, kommt näher. Die letzten zwei Kilometer bis zum Ziel führen über Asphalt. Vorbei an Hotels, in denen die Sieger des „Zugspitz-Ultratrail“ längst in ihren Betten schlafen. Egal, auf den letzten Metern mischen sich Freude über das eigene Erreichen des Ziels und die Freude über ein einmaliges Bergerlebnis. „Nachts durch die Berge laufen“, von dieser Erfahrung werden später die meisten Läufer schwärmen.
Nach 20:17.30,8 Stunden voller Strapazen bleibt nur eine Frage: Wo gibt es jetzt noch ein Bier? Es ist Sonntagmorgen, 3:32 Uhr in Grainau. Mitten In Bayern. Und die Erfrischung ist natürlich im Ziel – zum Greifen nahe. Prost auf den Zugspitz-Ultratrail! Lauf und Läufer haben es sich verdient…
Diese und weitere Geschichten von Peter Hinze gibt es bei https://www.reception-insider.com

Quelle: reception-insider.com

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