Die wunderbaren Wege edler Tropfen
Sie war bei Meiers in der Schrankwand, kennt den hintersten Winkel der Hausbar von Müllers, stand ewig und drei Tage in der Abstellkammer von Schulze, soll in der Praxis von Hausarzt Dr. Hinz irgendwo hinter einem Schreibtisch aufgetaucht sein, ließ sich kurz bei der Weihnachtsfete mitten auf dem Tisch von Kunz begutachten, wurde zum 60. von Rainer an Dieter überreicht und landete schließlich beim letzten Gartenfest in meinen Händen.
Die Rede ist von einer Flasche, laut Etikett besteht der Inhalt aus 5 Jahre altem im Eichenfass gereiften Jamerson Whisky. Als ich sie in mein Regal geschenkter Alkoholika stelle, wandert mein Blick über die angesammelten Schätze: ein paar Flaschen Champagner, von ganz edel bis ALDI, einige Weine, manche immer noch als 2er-Pack mit Schleifchen verziert und unzählige Gefässe mit Hochprozentigem, aus edelsten Edel-Destillerien bis zum Mini-Jägermeister im Sakkotaschen-Format.
Wahrscheinlich lebt die halbe Alkoholindustrie von der Unsitte des Mitbringsels, denn manche Sorten haben ausser einer interessanten Flaschenform oder eines besonders gestalteten Etiketts oder einer extravagant gefalteten Verpackung zumindest inhaltlich wenig zu bieten. Sie scheinen dafür gemacht zu sein, über Jahre einfach nur auf Reisen zu gehen. Gelegentlich werden sie vom jeweiligen Hausherren entstaubt, manchmal aber auch nicht, vor allem wenn es sich um Jahrgangswein handelt, dem der Kellerstaub die nötige Authentizität verleiht, kurz vor Geschenkübergabe einem alten Weinhändler als besonders leckerer Tropfen entrissen worden zu sein.
Man sollte – allerdings nur für echte Insider- irgendwo eine kleine abstehende Lasche am Etikett anbringen, auf der man in mikroskopisch winziger Schrift seine Initialen, Ort, Zeit, Adressat und Anlass eintragen kann. Vielleicht kommt man so den Wanderwegen und – pfaden bestimmter Tropfen näher auf die Spur. Warum verschenkt Hinz an Kunz nur Burgunder, wo kommt der her, wer hat ihn gekauft und vor allem- zu welchem Zweck?
Wahrscheinlich ist der Jamerson schon locker 20 Jahre alt, weil ich mich dunkel erinnern kann, ihn vor 15 Jahren Meiers zum Wohnungsbezug geschenkt zu haben. Ich werde ihn bei nächster Gelegenheit wieder Meiers mitbringen, denn schließlich scheint er Whisky zu mögen, und da will ich ihm natürlich etwas echt besonderes zukommen lassen. Denn einen 20 Jahre alten bekommt man nicht jeden Tag geschenkt- schade, dass es nicht auf dem Etikett steht.
Quelle: -eigen-
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