Selbst der Yeti kann nicht helfen

In Nepal läuft die großangelegte Tourismuskampagne ins Leere

Mit der Kampagne „VisitNepal2020“ wollte die nepalesische Regierung den Tourismus ankurbeln. Das großspurige Ziel: mehr als zwei Millionen ausländische Besucher. Doch bereits im Januar brach die Zahl der Ankünfte dramatisch ein. Die Verantwortlichen flüchten sich in schöne Worte und Optimismus. Bei den Tourismusunternehmen stellt sich dagegen langsam Panik ein. Denn fast wöchentlich gibt es neue „bad news“. Nepal könnte ein gigantischer Marketing-Flop drohen

Am 7. Januar folgte Nepals Botschafter in Berlin, Ramesh Prasad Khanal, dem Aufruf seiner Regierung, und bat fernab der schneebedeckten Himalaya-Berge zur feierlichen Eröffnung der Tourismuskampagne „VisitNepal2020“, die mehr als zwei Millionen Besucher in diesem Jahr nach Nepal locken werde, so der euphorische Ausblick der Marketingexperten in Kathmandu.
Die Begeisterung der Gäste in Berlin war groß. Kein Wunder, waren doch vorrangig verdiente Landsleute geladen. Das deutsche Publikum gehörte bei der Wichtigkeit eher der „zweiten Reihe“ an. Aber Hauptsache der Saal ist voll, so das Nepal-Credo seit Jahren.

Mittlerweile sind die verordneten Nepal-Feierlichkeiten rund um den Globus längst vergessen – stattdessen hat das große Zittern begonnen: Das Tourismusjahr 2020 startete in Nepal katastrophal. Die Ankünfte sackten im Vergleich zu Januar 2018 geradezu dramatisch um 33 Prozent ab. Bereits nach nicht einmal sechs Wochen zeichnet sich ab: „Wir werden die erhofften Zahlen niemals erreichen“, so ein Beobachter in Kathmandu, dessen Meinung kein Einzelfall ist. Manche Kritiker sind nicht überrascht, denn für das Erreichen des Zwei-Millionen-Ziels wäre eine Steigerung um gut 70% zum Vorjahr notwendig. 2019 fanden lediglich 1,17 Millionen Ausländer (deutlich weniger als noch 2018) den Weg in den Himalaya.

Inzwischen geht es den Verantwortlichen der Kampagne vor allem um Schadensbegrenzung. Die nun offiziell häufig zitierte Version, das Ziel von zwei Millionen Touristen sei sowieso „eher langfristig“ zu verstehen gewesen, sorgt kaum für Beruhigung, denn vom ersten Tag an kommen regelmäßig Negativ-Schlagzeilen aus dem Land der hohen Berge.
„ VisitNepal2020“ steht unter keinem guten Stern. Zur großen Eröffnungsfeier im Stadion von Kathmandu versprachen die Macher die Anwesenheit von 40 Tourismusministern aus aller Welt. Ein Wunschdenken, denn tatsächlich kamen lediglich vier Amtsträger. Unter anderem aus Jamaika. Die Karibikinsel taucht in der offiziellen Einreisestatistik nicht auf.
Kein Problem versicherten die Organisatoren, schließlich seien mit Indien und China die wichtigsten Märkte vertreten gewesen. Doch gerade diese beiden Länder rückten wenige Tage später in den Fokus: Zunächst wurden Mitte Januar bei einem Lawinenunglück im Annapurna-Gebiet vier Koreaner und drei einheimische Führer verschüttet. Eine Rettungsaktion blieb erfolglos.

Kurz danach verunglückten zwei Touristen bei einem Busunfall in der Nähe des Chitwan-Nationalparks tödlich. Dann starben acht indische Urlauber in ihrem Hotelzimmer, möglicherweise an einer Gasvergiftung.
Aber vor allem der Ausbruch des Coronavirus in China und die damit verbundene Reisesperre für Chinesen, zweitwichtigste Zielgruppe der Nepalis, machte sich negativ bemerkbar. Nepal selbst verzeichnet nach offiziellen Angaben aktuell lediglich einen Infektionsfall, was auch auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass in den Wintermonaten die Einreise vom (chinesischen) Tibet über den Himalaya aufgrund der Schneemengen fast unmöglich ist.


Reiseveranstalter und Geschäftsleute machen jedoch nicht nur die Anzahl der negativen Meldungen für den Abwärtstrend verantwortlich. Es fehlt an einem schlüssigen Konzept, und die Zielgruppen sind falsch gewählt, so der Tenor in Kathmandu.

Vor allem das massive Werben um chinesische Touristen wird kritisiert, da diese mittlerweile in ganz Asien den Titel „Zero-Dollar-Tourists“ tragen. Sie reisen fast ausschließlich mit chinesischen Unternehmen, übernachten und essen in von Chinesen geführten Hotels sowie Restaurants und bezahlen ihre Rechnung fast ausschließlich mit Alipay, dem beliebten Bezahlsystem Chinas. In den betroffenen asiatischen Reiseländern, zu dem auch Nepal gehört, bleibt „kein“ US-Dollar, woraus sich der Name der neuen Touristenart ableitet.

Wirtschaftsverbände fordern inzwischen einen veränderten Aktionsplan. Doch die Lage erscheint aktuell mehr als schwierig, dabei spielen bei weitem nicht nur externe Vorkommnisse eine negative Rolle. Auch im Land selbst zeigt sich: „VisitNepal2020“ startete fast ohne konkrete Neuheiten für die Besucher. Auch gab es, bis auf die Modernisierung der Landebahn am internationalen Airport von Kathmandu, kaum nennenswerte Verbesserungen in der teils maroden und von Naturgewalten häufig in Mitleidenschaft gezogenen Infrastruktur. Eine Reise durch Nepal gleicht vielerorts noch dem gleichen Abenteuer wie vor 20 Jahren. Nur zögerlich verbessert sich die Hotelstruktur. Zumindest in Kathmandu hat ein Marriott Hotel seine Pforten geöffnet. Weitere Top-Hotels sollen folgen.

Warum man gerade im Jahr 2020 nach Nepal reisen sollte, bleibt den meisten Branchenkennern bis heute ein Rätsel. Da hilft es auch wenig, dass das Land im Januar mit Event-Schlagzeilen um globale Aufmerksamkeit buhlte: So fand auf 5340 Metern Höhe die „Highest Fashion Show in the World“ statt. Ziel der Veranstalter des Events in Kala Pattar: „Wir wollen auf den Klimawandel aufmerksam machen!“ Da passte es jedoch nicht wirklich, dass die Model u.a. aus Italien und Finnland mit dem Helikopter aus der Hauptstadt an- und abreisten. Egal, Hauptsache schöne Bilder.
Und die soll es bald wieder geben: Dann wird das „höchste Eishockey-Spiel“ angepfiffen.

Nach einer fundierten Aussage, was Nepal außer hohen Bergen und dem Geburtsort von Gautama Buddha in Lumbini denn zu bieten hat, sucht manch einer vergeblich. Auch in Kathmandu wird man sich in den nächsten Monaten schwertun, Argumente für einen Nepal-Trip zu finden. So gleicht der zentrale Platz und zugleich wichtigste Besuchsort für Touristen in der Altstadt, der Durbar Square, auch fünf Jahre nach dem verheerenden Erdbeben noch immer einer Baustelle, auf der viele durch Plastikplanen und Drahtzäume geschützte Tempel für Besucher nicht zugänglich sind.


Nun setzen die Visit2020-Macher auf eine andere Idee: An 108 Plätzen im In- und Ausland wurden (überlebensgroße) Yeti-Figuren aufgestellt, die vor allem bei Instagram für Begeisterung sorgen sollen. An einigen Stellen in Nepal mussten die Skulpturen, deren Idee u.a. an die Bären-Kampagne in Berlin erinnert, wegen religiöser Bedenken allerdings inzwischen wieder weichen.
108 ist die heilige Zahl im Buddhismus. Und so hofft manch einer, dass das Jahr 2020 dank höherem Beistand doch noch eine positive Wende nehmen könnte. Geld scheint zumindest nicht das Problem zu sein: Allein für die Yeti-Familie wurden nach lokalen Schätzungen mehr als 400.000 Euro ausgeben.

Folgen Sie dem Nepal- und Himalaya-Experten Peter Hinze auf Instagram:
https://www.instagram.com/nepal_insides/

Quelle: Hinze

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