Esszimmer im Biedermeier
Ur-Leica mit Bild von Ernst Leitz II mit Tochter Elsie
Besuch im Haus Friedwart
Wetzlar, das ist Goethe oder? Den Werther oder das Lottehaus kennen viele, aber den Ursprung der modernen Fotografie hätte man dem idyllischen Städtchen an der Lahn nicht sofort zugeschrieben. Und doch hat die Familie Leitz mit der Leica „Fotografieren für Jedermann“ erst möglich und damit Wetzlar zugleich zu einer der wichtigsten Städte weltweit für die optische Industrie gemacht.
Noch heute erinnert in Wetzlar sehr viel an diese Dynastie. Ein Highlight ist das Haus Friedwart, malerisch am Hang der Burg Kalsmunt mit Aussicht über die Altstadt gelegen. Heute ist das Haus im Besitz der Ernst Leitz Stiftung, deren Vorsitz mit Dr. Oliver Nass, dem Urenkel von Ernst Leitz II, noch immer in Familienhand liegt. Dreimal im Jahr wird die ansonsten privat genutzte Villa für die Öffentlichkeit im Rahmen einer Führung zugänglich gemacht.
Haus im Biedermeierstil
Erbaut wurde die Villa, wie Stadtführerin Christiane Spory erklärt, in den Jahren 1914 bis 1917. Baubeginn war zwar vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs, aber auch während der folgenden Kriegsjahre setzte Ernst Leitz II die Fertigstellung des Hauses fort. Mitten im Ersten Weltkrieg wollte er für seine zweite Frau Hedwig einen Neubeginn wagen. Der Name „Haus Friedwart“ erinnert natürlich an jene turbulente Zeit. Neben dem Architekten der Firma Leitz Jean-Emil Schmidt war es vor allem Bruno Paul aus Berlin, der Außenausbau und Interieur im Übergang von Klassizismus zum Jugendstil maßgeblich gestaltete. Für ein Herrenhaus ist die Einrichtung ziemlich funktionell, fast schwungvoll und leicht im Stil eines Adolf Loos. Ob Speisesaal für 16 Gäste oder Biedermeierzimmer, auch heute könnte sich eine begüterte Familie noch so einrichten.
Leitz-Kameras für die Jedermann-Fotografie
Bereits 1849 wurde die Firma “Leitz“ von Karl Keller gegründet und 1869 von Ernst Leitz I übernommen. Die für Hobbyfotografen wohl wichtigste Entwicklung fand unter der Ägide von Ernst Leitz II statt. Bis dahin war Fotografie verbunden mit schweren Holzkästen und langen Belichtungszeiten. Auch Schnappschüsse in der freien Natur waren undenkbar. Das brachte den Leitz Entwickler Oskar Barnack auf die Idee, mit Hilfe von 35mm Film eine Kleinbildkamera zu konstruieren. Die erste Ur-Leica (Leitz Camera) war im Frühjahr 1914 fertig und ist die „Stammmutter“ aller modernen Fotoapparate. Dass sich Oskar Barnack dabei mit Ernst Leitz häufig in der Villa Friedwart getroffen hat, ist sehr wahrscheinlich. Die Entscheidung diese Kleinbildkamera zu bauen, war für das Unternehmen in jedem Fall zukunftsweisend.
Berühmte Persönlichkeiten zu Gast
Seit dem Tod 1985 von Elsie Kühn-Leitz, der Tochter von Ernst Leitz II, die ihr Leben lang für die Kulturförderung und Völkerverständigung, insbesondere die deutsch-französische Verständigung eingesetzt hatte, ist die Villa nicht mehr von der Familie bewohnt und dient vorwiegend kulturellen Zwecken. Wenn nicht gerade Corona alle Veranstaltungen verhindert, finden dort Kammerkonzerte, Lesungen und Vorträge statt. Ganz in der Tradition der Familie Leitz, die stets ein offenes Haus mit vielen berühmten Gästen führte. Konrad Adenauer, Theodor Heuss, Albert Schweitzer und Fotografen wie Henri Cartier-Bresson, Alfred Eisenstaedt oder Germaine Krull sowie Musiker aus aller Welt
waren dort zu Besuch, die das Haus Friedwart während 50 Jahren zu einer Begegnungsstätte für Kultur und Völkerverständigung machten.
Meist im Mai, September und Oktober ist das Gebäude der Öffentlichkeit im Rahmen einer Führung zugänglich. Gebucht werden kann diese bei der Tourst Info Wetzlar digital zum Preis von 8 Euro pro Person.
Weitere Informationen unter https://www.wetzlar.de
Quelle: eigen
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