Trekker und Führer mit dem Blick zum Mount Everest
Sherpas im Himalaya
Yaks Karawane
Namche Basar
Mount Everest vom Gokyo Peak aus
Der Staat Nepal will Geld machen, die Everest-Region wehrt sich
Schlagzeilen liefert Nepals Tourismusbranche meist nur für wenige Wochen ab Anfang Mai, wenn am Mount Everest die Zeit der Besteigungen beginnt. Umso größer war die Überraschung, als sich in diesem Jahr das National Tourism Board (NTB) am 3. März zu Wort meldete: “Ab dem 1. April dürfen alle internationalen Solo-Trekker nur noch mit einem staatlich-geprüften Führer oder Träger in die Nationalparks im Himalaya starten“, gab Maniraj Lamichhane , Sprecher des staatlichen Tourismusamtes, einen radikalen Kurswechsel in Sachen Trekkingtourismus bekannt. Dazu gehören auch noch Vorgaben wie eine Pflichtversicherung sowie eine Verdoppelung für die vorgeschriebene Karte „Trekking Information Management System“ (TIMS) auf umgerechnet knapp 15 Euro.
Wenige Tage vor dem Inkraftreten hat sich die internationale Aufregung noch nicht gelegt. Im Gegenteil: Dem Nepal-Tourismus droht ein mittleres Chaos, womit das Land seinem Ruf als unberechenbare Destination mal wieder gerecht werden würde.
„Das ist eine spontane Entscheidung des politischen Machtzirkels in der Hauptstadt Kathmandu. Niemand unter den Beratern und Experten wusste davon. Es war eine Nacht-und-Nebel-Aktion“, klagt Robin Boustead, enger Regierungsberater in Sachen Nachhaltigkeit und Tourismus. Und Kollegen pflichten ihm bei: „Eigentlich keine wirkliche Überraschung. Typisch Nepal“, so ihr Tenor.
Die Begründung für die Neuerung lieferte der Regierungsvertreter gleich mit: Damit wolle man ausschließlich die Sicherheit und den Schutz der Alleinreisenden erhöhen. Doch dieses Argument halten die meisten Insider für vorgeschoben. Vielmehr gehe es der klammen Regierung um größere Einnahmen aus dem Tourismus, der während der Corona-Pandemie fast völlig zum Erliegen kam und so das Land in eine massive Finanzkrise führte.
Zwar gingen im Januar 2023 die Bilder einer auf dem Thorong La-Pass erfrorenen Koreanerin um die Welt, die allein auf dem Annapurna Circuit unterwegs war und in knapp 5.400 Meter Höhe von einer Schneewehe bedeckt tot aufgefunden wurde. Ansonsten sind jedoch vergleichsweise wenig Unglücks- bzw. Vermisstenfälle bekannt. „2019 war das Jahr mit den wenigsten vermissten Trekker, das wir bisher registriert haben“, so das Web-Portal Missingtrekker.com über das letzte komplette Reisejahr vor der Coronapandemie. Zwischen drei und sieben Fällen, je nach Betrachtungsweise, sind aktenkundig.
Ende 2022 stieg die Zahl der Unglücksfälle zwar massiv an, allerdings kam es damals zu einem heftigen, frühen Wintereinbruch im gesamten Himalaya und auch zahlreiche einheimische Führer waren betroffen.
Missingtrekker.com beklagt seit langem, dass es von Seiten der offiziellen Stellen immer wieder Verschleierungsversuche und Fehlinformationen gäbe. Daher sei auch die Zahl der oft genannten „40 bis 50 Vorfälle pro Jahr“ nur schwer nachzuvollziehen.
Durch das neue Gesetz hofft die Tourismusbranche auf rund 40.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Doch es mangelt an Ausbildungsplätzen und staatlichen Kontrollen. Zudem können sich viele Einheimische die Ausbildung nicht leisten.
Bislang garantiert das Prädikat „staatlich geprüft“ auch nicht immer Fachkunde. So klagen viele Solo-Wanderer wie auch Reisegruppen, ihre Guides seien unzuverlässig, nicht ortskundig und hätten häufig Alkoholprobleme. Zudem fehlten Fachkunde über Höhenkrankheit. Streitigkeiten seien vielfach der Normalfall, da keine touristischen Kenntnisse gegenüber den Fremden vorhanden seien. So würden oft bevorzugt Unterkünfte von Familienangehörigen gewählt oder Lodges, die den Guides eine Provision zahlten. Vor allem weibliche Alleinreisende äußern Bedenken, nachts in abgelegenen Gebieten mit fremden Guides allein zu sein. Ebenso erstaunlich: Nepalesische Wanderer sind von den neuen Vorgaben ausgenommen, gelten aber am Berg als besonders unerfahren, konditionsschwach und häufig schlecht ausgerüstet.
Inzwischen verfestigt sich der Eindruck, das die neuen Vorschriften auch durch einen eher neidischen Blick ins benachbarte Bhutan inspiriert wurden. Dort zahlen betuchte Touristen inzwischen pro Tag fast 500 US-Dollar: Zusätzlich zu einem Tagessatz von 200 US-Dollar, um im Königreich eine intakte Natur und eine vermeintliche Glückseligkeit erleben zu können wird ein Fixbetrag für Übernachtung und Verpflegung zwischen 250 und 300 US-Dollar fällig. Bhutan gilt damit als Inbegriff eines nachhaltigen Tourismus, der den Strom seiner Besucher streng reguliert.
Doch von steigender Nachhaltigkeit ist in Nepal seit Jahren nur wenig zu beobachten: das Angebot ist in die Jahre gekommen; es gibt außerhalb Kathmandus nur wenige gute, neue Hotels; viele Bergtäler sind durch Straßen verunstaltet und ein Großteil der Tourismuseinnahmen wird nicht reinvestiert, sondern verschwindet in dunklen Kanälen in der Hauptstadt. Das Nepalesische Tourismusministerium gibt sich dennoch schwärmerisch: „Die Einführung ist ein wichtiger Schritt hin zu einem nachhaltigen, verantwortungsvollen und umweltfreundlichen Tourismus im Himalaya“.
In Solukhumbu, also unterhalb des Mount Everest, wollen die Verantwortlichen diese Meinung nicht teilen. Nepals wichtigste Trekking-Region gab kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes bekannt: „Bei uns sind Solo-Trekker auch ohne Guide herzlich Willkommen“, so zitiert die Tageszeitung The Himalayan Times Manoj Kumar, den verantwortlichen Sprecher. Stattdessen wird weiterhin die örtliche „Trek Card“ angeboten, für sie sind einmalig in den Orten Lukla oder Monjo 20 US-Dollar zu bezahlen.
Die Ablehnung hat vor allem ökonomische Gründe: Die Einnahmen aus der örtlichen „Trek Card“ verleiben am Fuße des Mount Everest. Die Einnahmen aus den neuen Gesetzesvorschriften würden dagegen fast ausschließlich in Kathmandu die Kassen füllen. Insider gehen davon aus, dass es Überlegungen zur Verweigerung auch in der Annapurna-Region bereits gibt. Damit wäre der politische Alleingang in Kathmandu zum Scheitern verurteilt – und das Chaos im Himalaya perfekt. Dabei hätten die Politiker wissen müssen: Im Nepaltourismus sind es traditionell die Sherpas, die die Gesetze machen. Ratschläge und Alleingänge aus Kathmandu beeindrucken sie längst nicht mehr.
Der Münchner Journalist Peter Hinze war seit den 1980er Jahren mehr als 30mal in Nepal und gilt als Kenner des Landes. In den letzten Jahren schrieb er zwei Bücher über den nepalesischen Himalaya.
Folgen auf Instagram: https://www.instagram.com/himalayan_trails_nepal/
Quelle: eigen
Share on Facebook