bo, leerer Strand bei Belek
Interview mit dem Tourismus-Experten Karl Born zur Türkei
Die Zahl der deutschen Türkei-Urlauber bricht ein. Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht. Zeit für unseren Autor Peter Hinze ein Interview mit dem Tourismusexperten Karl Born zu führen. Der Mannheimer arbeitete von 1987 bis 2000 für die TUI, davon ab 1992 als Vorstand. Von 2000 bis 2006 lehrte er als Professor an der Hochschule Harz in Wernigerode. Inzwischen machte sich Karl Born als einer der meistzitierten Tourismusexperten einen Namen. Born trat und tritt in zahlreichen Rundfunk- und TV-Nachrichtensendungen als Experte auf und schreibt regelmäßig eine Kolumne zum Tourismus unter dem Titel "Borns Bissige Bermerkungen".
In den Monaten November 2016 bis Februar 2017 brach die Zahl der deutschen Türkei-Urlauber bereits um rund 50 Prozent ein. Nach einer GfK-Studie im Auftrag der Branchenzeitschrift FVW Medien geben mittlerweile 50% der Befragten an, sie würden nie in die Türkei verreisen (im November 2016 waren es noch 42%). Türkei-Urlaub wird immer mehr zu einem gesellschaftlichen Tabu! Und damit hat die Türkei ein neues Problem: Internationale Urlauber bilden die wichtigste Einnahmequelle des wirtschaftlich bereits angeschlagenen Landes.
Und wie reagieren die großen deutschen Reiseveranstalter? Sie reagieren wie immer und äußern sich nur sehr zurückhaltend über die aktuelle Lage. Ein Reiseboykott ist für TUI & Co. kein Thema, denn schließlich weiß man aus Erfahrung: Der deutsche Urlauber hat kein touristisches Langzeitgedächtnis. Wenn der Preis wieder stimmt, dann kehrt er zurück, Hauptsache die Sonne scheint.
Ganz so optimistisch sieht Karl Born, Tourismus-Experte und ehemaliger TUI-Vorstand, die Situation nicht. "Die Lage ist diesmal brisant. So etwas hatten wir bislang noch nie, in keinem Reiseland der Deutschen!" Und alles könnte noch viel schlimmer kommen, warnt der Ex-Manager aus Hannover im Interview.
PH: Ich kann auf mindestens elf Türkei-Reisen zurückblicken.
Karl Born( KB): Ich habe meine Reisen nicht gezählt. Aber ich habe immer öffentlich bekannt: Die Türkei ist ein sehr schönes Reiseland.
PH: Aktuell ist Euphorie aber fehl am Platz!
KB: Ich sage in aller Deutlichkeit: Für mich wäre die Türkei zur Zeit das allerletzte Zielgebiet, in dem ich Urlaub machen würde. So demonstrativ gegen Urlaub war ich zuletzt bei Südafrika, während der Apartheid-Politik. Aber bei der Türkei rate ich nun schon seit Wochen von Reisen ab. Vehement, ja sogar sehr vehement!
PH: Ist es wirklich so abwegig, zumindest über einen Boykott nachzudenken?
KB: Früher lautete mein Credo: Wo die Kanzlerin mit Wirtschaftsdelegationen hinfahren darf, darf auch der deutsche Tourist hinfahren. Warum sollte der Tourist moralischer sein als die Kanzlerin?
PH: Früher? Das heißt, aktuell haben Sie ihre Meinung geändert
KB: Ja, weil ich einen verschärften Grund sehe – und der heißt „Erdogan“! Ein Attentat ist immer „nur“ eine punktuelle Gefahr, aber die „Gefahr Erdogan“ ist inzwischen flächendeckend. Meines Erachtens ist es nur eine Frage der Zeit, bis es die ersten Hotelmanager trifft. Oder auch „versehentlich“ deutsche Touristen. Früher hätte das Auswärtige Amt bei einer Verhaftung sofort alles in Bewegung gesetzt, um den Urlauber in kürzester Zeit frei zu bekommen. Auf eine solche Initiative des Auswärtigen Amtes oder sogar der Kanzlerin kann man aktuell nicht hoffen. Dem „Flüchtlingsdeal“, der nicht gefährdet werden darf, würde auch ein „touristisches Einzelschicksal“ untergeordnet werden *. Mit der Verhaftung des Journalisten Deniz Yücel ist jedoch ein vergleichbarer Fall jetzt wahr geworden. Und die Reaktion der Kanzlerin („bin besorgt, hoffe auf ein rechtstaatliches Verfahren“) darauf war katastrophal schwach.
PH: Na ja, die Tourismusbranche zeigt sich nicht viel engagierter. In einer Pressemeldung des Deutschen ReiseVerband (DRV) wird DRV-Chef Norbert Fiebig mit der Aussage zitiert: „„Die Sicherheit auf Reisen spielt für viele Kunden eine ganz zentrale Rolle. Gerade die Krisensituationen in der letzten Zeit haben wieder deutlich gemacht: „Die Reiseveranstalter und Reisebüros kümmern sich um den Kunden, wenn’s ungemütlich wird“. Hallo? Ist das alles, was ein „angeblich“ so wichtiger Verband zur aktuellen Lage zu sagen hat? Das klingt irgendwie weltfremd, zumal die Heute-Show (ZDF) den Gouverneur von Antalya, also der Touristenhochburg, mit den Worten zitierte: Wer nicht Erdogan wählt, der ist ein Terrorist!
KB: Der DRV verweist immer auf andere Länder mit Diktaturen und man könne doch dann nirgends mehr hinfahren. Dabei wird die aktuelle Entwicklung in der Türkei vollkommen falsch dimensioniert. Nirgendwo anders war die Schussfahrt von der Fast-Demokratie in die Diktatur so schnell wie in der Türkei. Nirgendwo anders wurden in einem kurzen Zeitraum so viele Journalisten eingesperrt wie in der Türkei. Nirgendwo anders wird so massiv zum Denunzieren aufgefordert. In keinem anderen Land beschimpfen Politiker Deutschland heftiger als ein faschistisches Land, indem Menschenrechte mit Füßen getreten würden. Wer glaubt, dass das keine Rückwirkungen auf die Denkweise vieler Türken selbst hat, der soll weiterträumen.
PH: Reisen in die Türkei sind ein Sicherheitsrisiko?
KB: Ja, ganz klar! Obwohl in Deutschland sehr viele Menschen an den Folgen des Rauchens sterben, wird der Verkauf von Zigaretten nicht verboten. Analog würde das für Türkei-Reisen heißen: Beim Verkauf von Urlaubsreisen in die Türkei muss ein „Beipackzettel“ dazu: „Vorsicht, die von Ihnen gekaufte Reise kann im Gefängnis enden“. Und im Kleingedruckten: „Sie können nicht darauf hoffen, dass Kanzlerin und Außenminister sich für Ihre Freilassung einsetzen“.
PH: Viele Reisende werden sagen, wenn ich meinen Mund halte, kann mir auch in der Türkei nichts passieren. Sehen Sie das anders?
KB: Den Unterschied macht die Aufforderung der türkischen Regierung zum Denunzieren aus. Das bedeutet es kommt auf die eigene Äußerung nicht an. Ein kleiner Streit über eine Nebensächlichkeit kann zu einer Denunziation führen. Ich rate deutschen Urlaubern zu höchster Vorsicht. Was außerhalb der Hotelanlagen passiert, kann unberechenbar sein.
PH: Und die ITB? Könnte die Messe nicht ein Zeichen setzen, einen Dialog starten?
KB: Die ITB hat sich in vielen Dingen gewandelt und fast ausschließlich zum Besseren. Viele aktuelle Probleme der touristischen Arbeit, denke ich vor allem an die Digitalisierung, werden da diskutiert. Nur eines hat sich auf der ITB nicht geändert, das Verbreiten der „Heile-Welt-Idylle“ und die Beschimpfung Andersdenker als Nestbeschmutzer.
PH: Aber die touristische Fachpresse?
KB: Habe gerade am Freitag in einer renommierten Tageszeitung gelesen: „Die Touristen kehren in die Türkei zurück“. Da muss es sich wohl um eine klassische „Fake News“ handeln.
PH: Es kommt ja immer auch das Argument, man hätte Verantwortung für die im Zielgebiet beschäftigen Menschen und schließlich sei der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle des Landes. Dabei ist ein solcher Satz ja heutzutage mehr ein tiefer Griff in die touristische Mottenkiste ist.
KB: Ich war nach den Terroranschlägen zum Beispiel dafür, dass man trotzdem ans Rote Meer in Ägypten fahren soll um die heimische Tourismusindustrie und die dort Beschäftigten zu unterstützen. Aber in der Türkei würde ich dieses Argument nicht anführen. Wenn jetzt noch mehrere Politiker keine Redemöglichkeit bei uns bekommen, ist Erdogans Reaktion vollkommen unberechenbar. Dass er den Tourismus „schonen“ würde, dafür gibt es keine Zeichen. Wirtschaftsfaktor hin oder her, das ist ihm egal.
PH: Am Donnerstag, 9. März, um 10.00 erlebt die ITB 2017 ihren „politischen“ Höhepunkt: Pressekonferenz mit dem türkischen Tourismusminister Nabi Avci, der selbst Journalist war und 1986 die Tageszeitung „Zaman“ mitbegründete, die bis kurz vor der Schließung 2016 als auflagenstärkste Zeitung der Türkei galt. Der Mann müsste sich also auskennen um Umgang mit der Presse. Was würden Sie sich für eine Aussage vom Minister wünschen?
KB: Das wird kein politischer Höhepunkt sein, sondern der politische Tiefpunkt. Der Tourismusminister wird eine absurde heile Welt schildern, wie es auch der türkische Reiseverband in den letzten Monat getan hat. Aber was der Tourismusminister und der türkische Reiseverband sagen, hat ungefähr die Bedeutung wie der berühmte Sack Reis in China. Und der DRV wird anschließend verkünden, ist doch alles prima. Aber ich hoffe, dass jetzt auch in der Tourismusbranche eine stärkere Diskussion über dieses Thema einsetzt.
PH: Herr Born, Sie sind und bleiben ein Optimist.
Mehr von unserem Autor Peter Hinze gibt es unter https://www.reception-insider.com Selbstverständlich wird Peter Hinze auf der ITB in Berlin die angesprochene Pressekonferenz besuchen und dann bei reisenundgolfen.de darüber berichten.
Quelle: eigen
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