Leere Strände oder glückliche Türkei-Urlauber dank Subventionen?

Wie die Türkei und manche Reiseveranstalter mit verschärften Reisehinweisen umgehen

Kaum war Bundesaußenminister Sigmar Gabriel am 20. Juli in Berlin vor die Presse getreten und hatte die Verschärfung des Reisehinweises für die Türkei bekanntgegeben, da liefen die Ticker der Nachrichtenagenturen heiß. Bereits um 11.24 Uhr, nur wenige Minuten nach dem Minister-Auftritt, meldete die „Deutsche Presseagentur“ kurz und knapp: „Reisehinweise für Türkei werden verschärft“.

Wenig später kamen die ersten Details an die Öffentlichkeit und die ministerielle Einschätzung war unmissverständlich: „"Zuletzt waren in der Türkei in einigen Fällen Deutsche von freiheitsentziehenden Maßnahmen betroffen, deren Grund oder Dauer nicht nachvollziehbar war. Hierbei wurde teilweise der konsularische Zugang entgegen völkerrechtlichen Verpflichtungen verweigert. Personen, die aus privaten oder geschäftlichen Gründen in die Türkei reisen, wird zu erhöhter Vorsicht geraten und empfohlen, sich auch bei kurzzeitigen Aufenthalten in die Listen für Deutsche im Ausland bei Konsulaten und der Botschaft einzutragen", so der offizielle Wortlaut aus Berlin.
Der neutrale Betrachter mag gedacht haben, dass den Herren am Bosporus ihr mittäglicher Sesam-Kringel im Halse stecken bleiben würde. Doch weit gefehlt. Irgendwie muss Ankara bereits vor dem Ministerauftritt das Ungemach kommen gesehen haben, denn von Sprachlosigkeit war nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil: Nicht einmal zwei Stunden nach Gabriels Schelte holten die Türkei-„Reiseleiter“ aus Ankara zum journalistischen Gegenschlag aus. Kritiker mögen nun einwenden, „Na ja, die haben ja genug Zeit, schließlich sind Hotels und Strände leer. Da lässt es sich auch leicht um andere Dinge kümmern“.

Egal, bereits um 13.20 Uhr setzte sich die gut bezahlte PR-Maschinerie der gebeutelten türkischen Tourismus-Industrie in Bewegung. Der Frankfurter PR-Dienstleister „Global Communication Experts“ (GCE), der auch bereits eine turbulente Pressekonferenz der Türkei auf der ITB 2017 im März in Berlin verantwortete, meldete sich mit einem Statement zu Wort, das fast „gabrielische“ Ausmaße in Sachen Klarheit erreichte: „Das Last-Minute-Geschäft hat in den letzten Wochen stark angezogen und auch die langfristigen Buchungen nehmen wieder zu. Immer mehr deutsche Urlauber kehren in die Türkei zurück. Antalya liegt laut Technik-Dienstleister Traveltainment mit einem Marktanteil von 30 Prozent wieder an der Spitze der beliebtesten Pauschalreise-Ziele und konnte den Vorsprung auf den zweitplatzierten Palma de Mallorca im Juni 2017 noch weiter ausbauen. Auch deutsche Reiseveranstalter bestätigen den positiven Trend und blicken hoffnungsvoll in die Zukunft“.
Außer den Reiseveranstaltern selbst und der touristischen Fachpresse spürte der Rest der Nation eher den „Sesam-Kringel“-Effekt, musste erst einmal tief Durchatmen und mit dem Runterschlucken kämpfen. Dabei besitzen derartige Jubelmeldungen eine türkische Tradition. Auch im März 2017 war bereits von großartigen Zuwächsen die Rede. Erst „im Kleingedruckten“ stellte sich heraus, die Zuwächse wurden vor allem bei Gästen aus dem „indischen Heiratsmarkt“ registriert. Manch Reisebüro-Mitarbeiter mag solche Zahlen für einen Scherz halten oder sich der Meinung eines führenden Touristikers in Deutschland anschließen: „Diese Meldungen sind ein Witz!“ Und weil „Traveltainment“, eine der fundierten Quellen der Meldung, im aktuellen Fall dem durchschnittlichen Reisebüromitarbeiter eher weniger bekannt ist, ergriffen gleich die Chefs mehrerer gebeutelter Reiseunternehmen das Wort für die Türkei. Allen voran schritt natürlich Dietmar Gunz, der als CEO von FTI Touristik ein schier unerschütterliches Vertrauen in diverse Krisenländer pflegt. Wenn es irgendwo in der touristischen Welt brennt, gern auch in Ägypten, gibt Gunz den perfekten Feuerwehrmann, sozusagen den „Jubel-Türken" – und kauft groß ein.

Auch die Türkei kann sich auf den Münchner verlassen: „Wir können für die letzten Monate eine sehr positive Entwicklung feststellen und aktuell ein zweistelliges prozentuales Gästeplus im Vergleich zum Vorjahr vermelden. Mit dieser positiven Buchungsentwicklung für die Türkei nimmt die FTI Group eine herausragende Position auf dem deutschen Reisemarkt ein.“ Gerald Kassner, Geschäftsführer von Schauinsland-Reisen ergänzt in der PR-Meldung: „Seit Jahresbeginn feiert die Türkei mit positiven Tageseingängen bei uns ihr Comeback“. Diese Entwicklung habe sich in den letzten Wochen noch einmal deutlich verstärkt, zitiert GCE den Aufsteiger aus Duisburg. Da schau(insland) her, würde der Bayer sagen. Und Songül Göktas Rosati, Geschäftsführerin von ÖGER TOURS, erklärte: „Aufgrund der anziehenden Nachfrage – zunächst im Online-Geschäft, jetzt auch in den Reisebüros – sehen wir für den Sommer ein starkes Türkei-Last-Minute-Geschäft.“ So weit aus dem Buchungs-„Fenster“ hätte sich wohl selbst in seinen besten Tagen Ex-Öger-Chef Vural Öger kaum gelegt.

Das euphorische Zahlenwerk der Reiseveranstalter lässt sich kaum verifizieren. Vor allem weil unklar ist, auf welchem Berechnungsniveau, d.h. auf welch schwachen Zahlen des letzten Jahres 2016, sich die Zuwächse gründen. Schauinsland-Optimist Kassner legte dann nochmals nach – und konnte sich einen Seitenhieb auf die Presse nicht verkneifen: „Selbst Gäste, die erstmals in die Türkei reisen und aufgrund der vielen äußeren Einflüsse, wie negative Medienberichte, verunsichert sind, lassen sich bereits nach wenigen Stunden vor Ort von der Gastfreundschaft der Türken und der ausgelassenen Urlaubsstimmung anstecken.“

In der öffentlichen Wahrnehmung haben die guten Aussichten die Türkei-Anbieter allerdings exklusiv für sich. Von ausgelassener Urlaubsstimmung weiß Türkei-Kritiker Karl Born nichts. In seiner wöchentlichen Kolumne „Borns bissige Bemerkungen" schildert er vielmehr eine andere, weit gefährlichere Stimmungslage, die deutsche Touristen drohen könnte: „In Izmir haben 69% gegen Erdogan gestimmt, in Antalya haben 59% gegen Erdogan gestimmt. Das heißt aber im Umkehrschluss, in Antalya haben z.B. 41% für Erdogan gestimmt. Darunter können viele „Streber“ sein, die sich durch Denunzieren von Touristen einen Vorteil versprechen.“ Ähnlich sieht es das Auswärtige Amt und rät Personen, die aus privaten oder geschäftlichen Gründen in die Türkei reisen, zu erhöhter Vorsicht. Selbst bei kurzzeitigen Aufenthalten sollten sich deutsche Staatsbürger in die Listen für Deutsche im Ausland bei Konsulaten und der Botschaft eintragen. „Deutsche Staatsbürger sind nicht vor willkürlichen Verhaftungen sicher“, warnte Bundesaußenminister Gabriel.

Zur Reise-Euphorie äußert sich Karl Born , der sich nicht nur im März zur ITB 2017 auf diesem Blog klar für einen Reiseboykott aussprach, deshalb auch wesentlich dezidierter als seine aktuell amtierenden Kollegen: „Das ist wie das Pfeifen im Walde. Wenn etwas läuft, dann sind es ausschließlich Last-Minute-Angebote. Denn wer nur auf den Preis schaut, für den ist die Türkei konkurrenzlos“, so der Ex-TUI-Manager, „schließlich sind ja auch Spanien und Griechenland so gut wie ausgebucht“. Im Gegenzug erkauft sich die Türkei das Wohlwollen der deutschen Reiseanbieter mit hohen Subventionen, wie Dietmar Gunz selbst einräumt: „Die Subventionen der türkischen Regierung konnten wir nicht nur direkt an unsere Kunden weitergegeben und damit besonders preisattraktiv für die Türkei-Freunde bleiben. . . Durch die Initiative der Regierung war es uns möglich, ein uneingeschränktes Flugprogramm in die Ferienorte an der Riviera und Ägäis beizubehalten.“ Das bedeutet in der Konsequenz: Ohne Subventionen wäre das Flugangebot längst massiv eingeschränkt worden.

Die Auslastung der Flüge dürfte sich dennoch in engen Grenzen halten und Ankara zum tiefen Griff in die eigene Subventionstasche zwingen. Denn am 25.Juli, also nur fünf Tage nach der Jubel-Meldung, ließ auch „Spiegel Online“ in Sachen Türkei-Tourismus keine Zweifel aufkommen. „92 Prozent der Deutschen können sich angesichts der aktuellen politischen Situation nicht vorstellen, in die Türkei zu reisen. . . 79,8 Prozent der Befragten geben demnach an, dass sie sich einen Türkei-Urlaub derzeit "auf keinen Fall" vorstellen können. 12,2 Prozent beantworteten die Frage mit "eher nein". Für lediglich 6,4 Prozent kommt es trotz der aktuellen politischen Lage in Frage, die Ferien in der Türkei zu verbringen“, so meldeten die Hamburger in einem Online-Beitrag.

Die Ergebnisse passen allerding so gar nicht zum friedlichen Bild, welches die Reiseveranstalter vermitteln wollen. Mittendrin im PR-Durcheinander könnte der ratlose Tourist wohlmöglich auf der Strecke bleiben. Wem soll er glauben? Welches Ziel soll er buchen? Seinem Reisebüro um die Ecke kann er vielleicht noch vertrauen, seinem Reiseveranstalter sollte er allerdings eine gewisse Skepsis entgegenbringen. Den Konzernen geht es um die Geschäfte – und die lassen sich mit der Türkei aufgrund üppiger Subventionen aktuell durchaus lukrativ gestalten. Ein Kurs, der hoffentlich gut geht. Und wenn nicht? Dann rufen Deutschlands Reiseunternehmen nach der Hilfe des Staates. So war es in Krisenzeiten schon immer. Keine sonnigen Aussichten also. . .

Diese und weitere Artikel unseres Autors Peter Hinze finden Sie unter https://www.reception-insider.com

Quelle: Eigen

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