Brotzeit unter Alpengipfeln
Spätzle oder Spatzen, egal ,wenns schmeckt
die Schützingers
Nina Mayr
Kulinarische Reise durchs Allgäu
Natürlich sind sie die Stars dieses neuen Führers der renommierten Kulinarik-Autorin Hannelore Fisgus für alle, die im Allgäu nicht nur wandern, radeln oder skifahren möchten, sondern die dort auch gut essen wollen: Die „Spatzen“ oder „Spätzle“ genannten goldgelben Sättigungsbeilagen aus Mehl, Eiern und Wasser. Mal als soßensaugende Beilage, mal als eigenständig leckere und mit Käse aufgepeppte Leib-und Magenspeise der Allgäuer.Ob mit „A“ oder „Ä“ geschrieben, das hängt von der geographischen Lage ab: die Württemberger neigen zu „Spätzle“, die Bayern sagen „Spatzen“. Die Autorin löst die Frage salomonisch und nennt ihren 240 Seiten starken (Ver-)Führer zu den Leckereien und Spezialitäten des Allgäus „eine Reise entlang des Spätzle-Äquators, immer zwischen Tradition und Innovation.“ Mit dem Allgäu nimmt Fisgus nach München und dem Chiemgau die dritte und bei Einheimischen wie Urlaubern gleichermaßen höchst beliebte Region unter die kulinarische Lupe. Die Erkenntnis: das Allgäu bietet kulinarisch überraschend viel mehr als nur Kässpatzn! Schön auch, daß man dieses Buch nicht nur zum Kochen, sondern auch für Ausflüge, Berg-und Radwanderungen sowie als Hintergrundinfo über das Allgäu nutzen kann.
Herrgottsbscheisserle und Zuckerbrot
Wie jeder andere Besucher auch nähert sich die Münchner Gastro-Spezialistin behutsam den Allgäuer Alpen im Süden, macht erstmal Station im Unterallgäu, wo die Hügel niedrig und Kühe noch selten sind. Dort fallen ihr in Bad Wörishofen das 43 Meter lange Frühstücksbuffet im „Sonnenhof“ auf und die selten angebotenen Blutwurst-Maultaschen- quasi die Winter-Version der mit Kalbfleisch und Gemüse gefüllten „Herrgottsbscheißerle“( württembergisch für Maultaschen). Auf dem Weg nach Westen lockt in Mindelheim im Gasthof „Ursprung St.Anna“ eine Lammkeule aus dem Wiesenheu mit Perlgraupen-Risotto, danach ein Stopp in der sehr pittoresken und trotzdem kaum bekannten Altstadt von Memmingen: Bäcker Standhartinger schiebt dort freitags sein „Memminger Zuckerbrot“ in den Ofen. Über den „Gromerhof“mit seinem idyllischen Biergarten am Bauernmuseum in Illerbeuren und das Restaurant des bekannten Bio-Giganten „Rapunzel“ im eher abgelegenen Legau wird die Grenze zum Oberallgäu erreicht.
Allgäuer Camenbert und Baumflechtensud
Mit 17 Stationen, vom Nobelrestaurant bis zur urigen Alp, nimmt die Landschaft zwischen dem „Allgäuer Tor“ bei Dietmannsried und der Breitachklamm an der Grenze zum Kleinwalsertal den attraktivsten und größten Raum in diesem Buch voller „Gerichte und Geschichte“ ein. Fisgus erklimmt in Eschach auf 1000 Metern überm Meer die „Genußkäserei Hoimat“, in der Philipp, Sebastian und Lisa im 270 Jahre alten ehemaligen Kuhstall ihren Camembert reifen lassen. Auf der „Alpe Sonnenhalde“ ob Oberstaufen probiert sie Andreas „Geiß-Käsekuchen“.Sie schwärmt vom sauer marinierten Saibling, der in der „Bergfischzucht „ von Gunzesried im stets acht Grad kalten Quellwasser aufwächst. Und sie besucht oberhalb der phantastisch schönen Breitachklamm die „Alpe Dornach“, wo es ausgefallene Sachen gibt wie Baumflechtensud, Sauerkleeextrakt oder Kaiserschmarrn mit Zitronen-Frischkäse. „Eine Alpe de luxe“ urteilt die Autorin.
Nobel mit Wildkräutereis und Weinen aus Zirbenholz-Zapfen
Eher nobel geht’s auch in der Oberstdorfer Gastroszene zu, kein Wunder, gehört die Marktgemeinde im südlichsten Zipfel Deutschlands doch zu den meistfrequentierten Urlaubszielen der Deutschen. Und da muß was geboten werden: sei es im „Königlichen Jagdhaus“,im „Ondersch“ oder im ehemaligen Wohnhaus von Skisprunglegende Max Bolkart,dem heutigen Restaurant „Freiberg“. „Günschdig“(wie die Allgäuer sagen) ist es nirgends, aber gut schon. Fisgus entdeckt auch immer wieder ziemlich ausgefallene Locations mit einem ebenso ausgefallenen Angebot. Wildkräuteröl-Eis in der „Sonnenklause“ in Hinang, die „Allgäuer Gebirgskellerei“ in Wertach, wo Carsten Hell Weine aus Kapuzinerkresse oder Zirbenzapfen produziert. Das seltene Gebräu kann man nur einmal wöchentlich probieren- das wird seine Gründe haben! Im Altstädtener „Cafe Herzwerk“ kann man öfter zuschlagen- Betreiberin Laura war Chef-Patissiere auf einem Kreuzfahrtschiff und weiß, was die Leute mögen.
Lauwarmer Bodensee-Aal und Wildfleisch-Küchle
Nach einem sehr kurzen Abstecher nach Kempten (dort empfiehlt Hannelore Fisgus in erster Linie das jeden Mittag vor der Residenz parkende „Kässpatzen-Mobil“!) und dem spannenden Info-Kasten zum Thema „Wie der Käse ins Allgäu kam“ richtet sich der Blick ins Ostallgäu. Acht gastronomische Plätze haben dort die Ehre,in dem von Fotograf Ingolf Hatz bildmächtig ausstaffierten „Kochbuch“ erwähnt zu werden. Ganz oben- auch topgraphisch gesehen- „ die Blaue Burg“(ehemals Falkenstein) auf einem schwindeligen Felsgrat nahe Pfronten, dort, wo einst „der Kini“ ein „Hideaway“ bauen wollte. Für Ludwig Zwo hat es nur zu einer Wasserleitung gereicht, für Koch Simon Schlachter geht sich ein „Michelin“-Stern aus. Daß die Preise dementsprechend sind, muß nicht weiter erwähnt werden… Der lauwarme Bodensee-Aal im „Frühlingsgarten“ von Bad Faulenbach (der legendenumwitterte Alatsee ist nicht weit) ist da schon preiswerter. Weiter draußen inmitten der eher sanften Ostallgäuer Hügel entdeckt man im „Landgasthof Hubertus“ in Apfeltrang ein schmackhaftes „Duett von der Ziege“ und gleich nebenan auf der „Bergmang Alpe“ in Ruderatshofen auf 850 Metern Höhe „Wildfleischküchle mit Kartoffelstampf“.
Mehr Allgäu als Rezepte
Nebenbei erklärt Fisgus, was Allgäuer „Mächler“ sind,welche Beere zum „heimischen Superfood“gehört und warum der (nicht die oder das!) Viehscheid zum Höhepunkt des Jahres im Allgäu geworden ist. Auch das Wesen der eßbaren Allgäuer „Seele“ wird ergründet. Diese kleinen feinen Abstecher ins Allgäuer Leben machen das Buch lesenswert und unterscheiden es wohltuend von vielen anderen „Rezeptsammlungen“. Zu diesen „Schmankerln“ gehört auch die „Zeitreise durch die Allgäuer Spatzenliebe“: Die beginnt im 17.Jahrhundert im zutiefst württembergischen Göppingen und nicht im Allgäu.
Mehr wird nicht verraten.
Allgäuer Heusüppchen und Seelen
Denn wir haben noch die Etappe ins Westallgäu vor uns, ein von bayerischen und württembergischen Schwaben besiedeltes Land, das an den sonnigen Ufern des Bodensees endet. Neun Stationen listet Fisgus hier auf- vom „Böfflamott“(Garzeit fünf Stunden!!!) in der „Krone“ vom grenznahen Maierhöfen über das „Ziegen-Zweierlei“ im Leutkircher „Brauereigasthof Mohren“, dem bodenständig-hippen „Hirsch“ in Urlau bis hin zum Pionier der Allgäuer Kräuterküche. Der heißt Axel Kulmus und zaubert im prächtigen „Landgasthaus Rössle“ in Stiefenhofen. „Heusüppchen mit Bergkäse-Krusteln“, mmmh! Mitten durch die Gaststube vom „Rössle“ verlief einst übrigens die Grenze zwischen dem Königreich Bayern und der K.u.K-Monarchie Österreich ! Schließlich rollt man gemählich bergab Richtung Bodensee, läßt Berge und Rindviecher, Käse und Kräuter hinter sich und macht in Wangen Rast beim „Fidelisbäck“. Eine Bäckerei, deren „Seelen“ und Leberkäs sogar in München und Stuttgart geschätzt werden ! Obwohl Lindau genau genommen nicht mehr zum Allgäu gehört, setzt Hannelore Fisgus den Schlußpunkt ihrer kulinarisch-historischen Reise auf der Insel: nicht nur ihr gefällt es beim Sundowner im „Schützinger am See“ unter schattigen Kastanien und mit eigener Badestelle einfach zu gut. Wenn die Sonne den See gülden färbt und die Appenzeller Alpen im Dunst verschwinden, dann kanns einem besser nicht gehen…
„Das Allgäu Kochbuch“, Gerichte.Porträts.Geschichten.
Hannelore Fisgus, Preis 29.99 Euro
Christian Verlag München, 240 Seiten
mit zahlreichen Originalrezepten und Fotos von Ingolf Hatz
Quelle: eigen
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