Düstere Aussichten im Land der Tempel und weißen Sandstrände

Indien in Zeiten von Corona
Indien ist für viele Synonym für Exotik: weiße Sandstrände in Goa, der Akshardham-Tempel in Delhi oder das geschäftige Treiben und Menschenmassen in Mumbay. Doch gerade die Menschenmassen könnte sich in Indien in Zeiten von Corona zum alles beherrschenden Problem entwickeln.
Als der indische Premierminister Narendra Modi im Frühjahr am 24. März um 20 Uhr eine Ausgangssperre für die nächsten 21 Tage verkündete, blieb den Bewohnern seines Landes nur wenig Zeit, um sich darauf vorzubereiten. Denn schon um 24 Uhr trat die Ausgangssperre in Kraft.
"Es musste alles sehr schnell gehen", erzählt Kumar Singh, der im Ortsteil Nampally von Hyderabad wohnt und arbeitet, eine Sieben-Millionen-Metropole im Südteil Indiens. Der 35-jährige IT-Spezialist erzählt von der Hektik im Anschluss an die Ansprache. Für die Vorbereitungen, das öffentliche Leben lahm zu legen, blieben gerade mal vier Stunden Zeit. Zu wenig auch für seine Firma, um für die Angestellten Homeoffice zu arrangieren.
Rasant steigende Zahlen
Damals zählt Indien gerade mal 979 Infizierte, von denen 25 Menschen verstarben. Ende Dezember lag die Zahl nach Angaben des Ministry of Health and Family Welfare bei 10 Millionen Infizierte, der größte Teil davon im Bundesstaat Maharashtra. Die Todeszahl wird mit über 100.000 angegeben.
"Das Virus brachte vor allem die mobile Oberschicht ins Land", erklärt Singh. Gemeint sind etwa Manager, die zwischen den Kontinenten pendeln. Da sich Reiche und Arme in dem vom Kastensystem bestimmten Indien traditionell nur auf Distanz begegnen, wenn überhaupt, verlangsamte das die Epidemie im Frühjahr für ein paar Tage.
"Unsere wenigen Krankenhäuser haben überhaupt nicht die Kapazitäten, auch nur einen Bruchteil unterzubringen", beklagt Kumar Singh.
Die Tagelöhner steckten in der Stadt fest. Zu ihren Familien auf dem Land fährt kein Bus mehr. Die Tempel, Moscheen und Kirchen aller Konfessionen haben Suppenküchen eingerichtet, damit die Obdachlosen wenigstens nicht verhungern. Unter ihnen lassen sich zwei Meter Sicherheitsabstand allerdings unmöglich täglich über 24 Stunden einhalten. "Die schlafen in Gruppen", sagt Singh.
Ein Hauptstadtjournalist aus Neu-Delhi, der nicht genannt werden will, sieht den Kampf gegen Corona allerdings als verloren an, "... ziemlich egal, was die Regierung beschließt". Die offizielle Zahl der Infizierten nehme ohnehin niemand ernst.
Düstere Prognose
"Nur die Wohlhabenden können sich testen lassen", kritisiert er. Die Tagelöhner hockten indes dicht aufeinander. Geradezu ideale Bedingungen, um sich zu infizieren. Manche der Männer schafften es auch ohne Bus, in ihre Dörfer zu gelangen, notfalls über 400 Kilometer zu Fuß. Und verbreiten so die Infektion auf dem Land.
Die Mittelschicht könne die Regierung mit Aufklärungsmaßnahmen zwar erreichen, "... aber nicht die Millionen, die ganz unten stehen". Sternförmig hat sich Corona von den Metropolen inzwischen ausgebreitet. Er wisse von nüchternen Rechenspielen in der Politik, die bei 1,3 Milliarden Indern von 80 Prozent Infizierten ausgehen. "An der Sterberate von Italien orientiert, werden am Ende rund 100 Millionen Inder Corona nicht überleben", so seine düstere Prognose.
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Quelle: eigen

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