Auf den Spuren der Großväter


100 Jahre nach den Kämpfen in den Vogesen
Es ist bedrückend eng in den gemauerten Gräben auf dem Gipfel des Lingekopfes in den Vogesen. Fast greifbar ist die permanente Gefahr, in der die Soldaten vor 100 Jahren schwebten, deren Leben täglich an einem seidenen Faden hing. Schon bei gutem Wetter ist allergrößte Vorsicht in dem extrem steilen Gelände geboten. Wer stürzt, kann sich ernsthaft verletzen. Das alles in Friedenszeiten. Kaum vorstellbar diese mannsbreiten, etwa zwei Meter tiefen Schluchten bei schlechtem Wetter und unter Beschuss zu durchqueren. Genau das versucht General Dominique Müller, bei seiner Führung durch die deutschen und französischen Linien auf dem Lingekopf zu vermitteln.
Rund 17000 Opfer hat dieser begrenzte Abschnitt des Schlachtfeldes in den vier Jahre des Ersten Weltkrieges von beiden Seiten gefordert. Eine grauenvolle Vorstellung. General Müller ist der Vorstand eines Vereines zur Erhaltung der Gedenkstätte in der Nähe von Colmar im Oberelsass. So originalgetreu wie möglich, versuchen viele freiwillige Helfer das Grabensystem beider Seiten wiederherzustellen. Ob Bundeswehrsoldaten im Urlaub oder junge Franzosen in den Ferien, es überrascht wie groß das Interesse am Ersten Weltkrieg oder Grande Guerre, wie die Franzosen den ersten modernen Krieg nennen, auch noch hundert Jahre nach dem Konflikt ist.
Der Lingekopf war 1914 Reichsland. Nach dem gewonnen Krieg gegen Frankreich 1870/71 hatte das Kaiserreich im Frieden von Frankfurt Teile von Elsass- Lothringen annektiert. Die Grenze zu Frankreich war weitestgehend mit der Sprachgrenze identisch. Anders als die Bundesstaaten oder die preußischen Provinzen unterstand Reichsland direkt dem Kaiser. Nach der Kriegserklärung am 3. August 1914 Deutschlands an Frankreich, marschierten die französischen Truppen sofort im Oberelsass ein, um die Provinz für Frankreich zurückzugewinnen. Die Frontlinie veränderte sich ständig, bis sie sich auf den Höhen der Vogesen stabilisierte und zum Stellungskrieg erstarrte. Geländegewinne bewegten sich von diesem Zeitpunkt an im Meterbereich, erkauft mit tausenden von Toten. Ab 1916 erstarrte die Front komplett. Artillerieduelle mit teilweise schwersten Kalibern forderten jedoch noch immer immense Opfer unter den jungen Männern aus Deutschland und Frankreich. Ein Leben war nur noch tief unter der Erde möglich.
„ Der ganze Berg gleicht einem Ameisenhaufen“ erzählt Dominique Müller in sehr gutem Deutsch, das etwas elsässisch gefärbt ist. „Zugang leider nicht mehr möglich“! Während die Poilus ihre Stellungen mit Holzverschalungen ausbauten, sind fast alle deutschen Gräben in der ersten und zweiten Linie gemauert und die Bunker aus Fertigbetonteilen erstellt. Zahlreiche in den Zement eingelassenen Inschriften erzählen uns von den Einheiten, die dort kämpften. Sehr häufig bayerische Truppen. Teilweise nur wenige Meter sind die Grabensysteme voneinander entfernt. Horchposten beider Seiten versuchten soviel Information wie möglich vom Gegner zu erspähen. Eine extrem gefährliche Aufgabe, wie General Müller bestätigt. „Fast alle starben in den vorgeschobenen Stellungen“.
Bei der Rekonstruktion der Gräben finden die freiwilligen Mitarbeiter noch heute die Gebeine gefallener Soldaten. Werden diese aufgrund der Erkennungsmarken identifiziert, liegt die Bestattung bei der Familie des Toten. Meist sind das schon die Enkel oder Urenkel. Unbekannte Soldaten werden direkt auf dem Schlachtfeld zur letzten Ruhe gebettet. Franzosen mit einem weißen Kreuz, Deutsche nach den noch heute gültigen Passagen des Versailler Vertrages von 1919 mit einem schwarzen Kreuz. Was an Waffen und Ausrüstungsgegenständen gefunden wird, landet im Museum Lingekopf, das einen Eindruck von der Ausrüstung und den Kämpfen vor 100 Jahren gibt. General Müller führt uns durch das verwinkelte und gezackte Grabensystem, durch das gerade eine Person passt und das so wesentlich leichter zu verteidigen war. Zick-Zack deswegen, damit immer nur ein kleiner Teil des Verteidigungssystems mit Gewehrfeuer oder Handgranaten erreichbar war. Fast 1000 Meter hoch liegt die das Schlachtfeld am Lingekopf, das nach und nach in den Zustand vor 100 Jahren zurückversetzt werden soll.
Einen anderen Weg geht man etwa 25 Kilometer weiter südlich am Hartmannswillerkopf. Eines der berühmtesten und blutigsten Schlachtfelder des ersten Weltkrieges und eine von vier nationalen Gedenkstätten des Großen Krieges in Frankreich. In der Krypta des eindrucksvollen Gebäudes trafen sich am 3. August 2014 Bundespräsident Joachim Gauck und der französische Präsident Francois Hollande zum 100 jährigen Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkriegs. Unter der Bronzekuppel ruhen die Gebeine von mehr als 11000 Soldaten beider Nationen. “Am Hartmannswillerkopf soll nichts rekonstruiert werden, sondern die Natur darf sich die geschundene Landschaft zurückerobern“ erklärt Gilbert Wagner, einer von zwei deutschsprachigen Führern über das Gelände. Wagner kennt das Grabensystem wie seine Westentasche und macht das Grauen vor 100 Jahren erst begreifbar. Auch hier wurde, in einer wirklich wunderbaren Mittelgebirgslandschaft mit Sicht auf den Grand Ballon oder Großen Belchen, die Zukunft zweier Nationen für einen völlig sinnlosen Krieg geopfert. Auch hier konnte man den Geländegewinn in Metern beziffern, der nach dem nächsten Gegenangriff wieder verloren ging. 30000 Menschen mussten für diese strategischen Ideen der deutschen und französischen Generalität ihr Leben geben. Auch auf dem Hartmannswillerkopf kümmert sich eine private Gesellschaft um die Erhaltung der Gedenkstätte. Der Vizepräsident Jean Klinkert ist einer der Motoren des Ganzen. „ Der HWK ist mein Leben“ erzählt Monsieur Klinkert in perfektem Deutsch.
HWK oder Vieil Armand (der alte Armand) nannten die Franzosen den Hartmannswillerkopf, da der Name für sie nur schwer zu auszusprechen war- Menschenfresser sagten die deutschen Soldaten. Jean Klinkert hörte schon von seinem Großvater abenteuerliche Geschichten und seitdem „hat in der HWK gepackt“. Ein neues Museum ist geplant, in dem nicht nur die Geschichte des Berges während des Ersten Weltkrieges sondern auch die Deutsch-Französische Verständigung breiten Raum einnehmen soll. „Der richtige Ort um die Sinnlosigkeit jedes Krieges zu erkennen“ gibt uns Jean Klinkert mit auf den Weg. Wie Recht er hat.
Informationen zu Gedenkreisen erteilt die Französische Zentrale für Tourismus: https://www.rendezvousenfrance.com
Über den Lingekopf neben dem Wettstein-Pass: https://www.linge1915.com sowie über den Hartmannswillerkopf unter https://www.front-vosges-14-18.eu und https://www.tourisme-alsace.com

Quelle: eigen

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